Eine lebendige Szene mit mehreren Charakteren zeichnen

 

 

Eine Illustration mit mehreren Charakteren zu zeichnen kann zunächst etwas beängstigend sein, aber mit den richtigen Tipps ist es gar nicht so schwer. Am wichtigsten ist eine gute Planung am Anfang. Hier zeige ich euch, wie ich eine solche Idee umsetze.

 

Fantasie

Noch bevor ich anfange zu zeichnen, mache ich mir Gedanken zu meinem zukünftigen Bild. Ich versuche mir die Szene vorzustellen und welche Stimmung herrschen soll. Man sollte nicht die Zeit unterschätzen, die man mit seiner Fantasie verbringt, auch wenn es sich nicht anfühlt, als würde man an seiner Kunst arbeiten. Aber manche Bilder entstehen nur aus einem kurzen Gedankenblitz, andere reifen über Tage und Wochen in der eigenen Vorstellungskraft bis man bereit ist, das Bild anzufangen.

Ich weiss nach diesem Ausflug in meine Fantasiewelt, dass ich eine Szene mit zeichnenden Freunden in einem sonnendurchfluteten, gemütlichen Coffee Shop machen möchte. Jetzt kann ich mit dem Zeichnen loslegen!

 

Planung

 

 

Ich fange mit einem sehr groben Entwurf an um festzulegen, wo die Charaktere sich auf dem Bild befinden sollen. Eine Szene mit mehreren Personen wirkt viel lebendiger, wenn sie miteinander interagieren. Diese interaktion deute ich gleich in der groben Skizze mit der Blickrichtung, der Neigung der Köpfe und der Körper an. An dieser stelle ist es noch nicht wichtig, dass die Charaktere anatomisch korrekt oder schön aussehen, grobe formen reichen völlig aus. Dadurch fällt es einem leichter, Teile auszuradieren und zu ändern, weil man noch nicht viel harte Arbeit in eine schöne Zeichnung gesteckt hat.

 

Ausarbeiten der Posen

 

 

Wenn ich mit der groben Planung zufrieden bin, fange ich damit an, meine Charaktere auszuarbeiten. Manchmal kriegt man eine Pose oder Handhaltung nicht auf Anhieb hin. Da hilft es, sich an Vorlagen zu orientieren. Am einfachsten finde ich es, einfach schnell ein Handyfoto von mir selbst zu machen und es neben mein Bild zu legen. Dafür benutze ich das Werkzeug unter Fenster > Unteransicht.

 

 

Langsam nehmen die Figuren Gestalt an. Während diesem Prozess verwende ich oft nützliche Verformungs-Tools, wenn z.B. eine Hand zu groß geraten ist, oder ich die Kopfform von einem Charakter leicht ändern will, ohne alles neu zeichnen zu müssen. Dafür wähle ich den Teil, den ich anpassen möchte, mit dem Lasso-Werkzeug aus und benutze dann Transformieren > Skalieren/Drehen für simplere Verformungen, oder Transformieren > Formgitter Transformation für aufwändigere Änderungen.

 

 

Formgitter Transformation gibt einem die möglichkeit, die Anzahl seiner Gitterpunkte anzupassen und so sehr feine und weiche Änderungen vorzunehmen. Dieses Tool verwende ich sehr oft im Verlauf meiner Arbeit, auch später in dieser Illustration. Wenn man mehrere Ebenen ausgewählt hat, können sie sogar zusammen transformiert werden!

 

 

Sympathische Details

 

 

 

Nun verringere ich die Deckkraft meiner Skizzenebene und lege eine neue darüber an. Darauf zeichne ich meine Charaktere detaillierter. Ich gebe ihnen sympathische Gesichter und mache mir auch Gedanken zu ihren Frisuren und Outfits. Und natürlich ist es für diese Szene wichtig, dass sie alle zeichnen. Ich gebe allen unterschiedliche Zeichenwerkzeuge für mehr Vielfalt, schließlich hat jeder Künstler verschiedene Vorlieben in Bezug auf Skizzenbücher und Zeichengeräte.

Jeder Charakter hat eine eigene Ebene, damit ich sie unabhängig voneinander bearbeiten kann.

 

Hintergrund

 

 

Für die Szene, die ich mir ausgedacht habe, ist es wichtig, dass die Betrachter gleich sehen, dass wir uns in einem Coffee Shop befinden. Ich habe mir Inspirationen von gemütlichen Shops im Internet (Pinterest ist eine große Hilfe) angeschaut und ein paar Elemente daraus übernommen: großes Fenster, moderne Lampen, viele herabhängende Pflanzen. Damit das ganze belebter wirkt, sollen natürlich auch andere Menschen nicht fehlen. Diese müssen aber bei weitem nicht so aufwändig wie die Hauptcharaktere sein.

 

Farbflächen

 

 

 

Ich benutze das Tool Lasso-Füllung um die Farbflächen der Charaktere festzulegen. Dabei erstelle ich zuerst eine Basis-Ebene, die die Grundrisse der ganzen Figur füllt. Dann lege ich Schnittmasken-Ebenen darüber an, um einzelne Elemente wie Kleidung und Haare zu füllen. Auch wenn ich oft faul bin und das vernachlässige, hilft es einem sehr, seine Ebenen zu benennen, um später alles leichter wiederfinden zu können!

 

 

Wenn ich mit einem Farbton nicht auf Anhieb zufrieden bin, nutze ich gerne das Werkzeug Bearbeiten > Farbkorrektur > Farbton/Sättigung/Luminanz um schnell verschiedene Töne durchzuprobieren. Wichtig ist, dass das Häkchen bei Vorschau an ist, denn sieht man seine Änderungen gleich auf dem Bild.

Alle Ebenen, die zu einem Charakter gehören, lege ich zusammen in einer Gruppe ab. Es werden am ende ganz schön viele Ebenen sein und die einzelnen Gruppen kann man praktischerweise zuklappen, wenn man sie gerade nicht braucht.

 

Licht

 

 

 

Unter Neue Ebene > Fläche füllen kann man ganz einfach komplett gefüllte Flächen erstellen. Diese bieten sich sehr an für Schatten und Licht. Durch doppelklicken auf die Farbfläche im Ebenen-Menü kann man den Farbton jederzeit ändern. Das ist sehr hilfreich, wenn man später feststellt, dass man alle Schatten etwas dunkler machen möchte.

Für die warme, sonnige Szene in meiner Illustration gebe ich allen Charakteren einen sanft wärmenden Schatten in einem hellen beige. Dafür setze ich den Ebenenmodus auf Multiplizieren.

Für die helle Lichtkante der Charaktere nutze ich einen hellen Gelbton im Ebenenmodus Hinzufügen. Es kann interessant sein, an dieser Stelle verschiedene Farbtöne und Ebenen-Modi auszuprobieren und zu sehen, was für Effekte dadurch entstehen.

 

Ein süßes Café

 

 

 

 

An dieser Stelle möchte ich mich dem Hintergrund widmen. Wenn die Farben im Hintergrund schon da sind, finde ich es leichter, die Charaktere so auszuarbeiten, dass sie in die Lichtstimmung passen, aber sich trotzdem abheben.

Für den Hintergrund nutze ich ebenfalls viel Lasso-Füllung und zeichne Details per Hand dazu. Unter den vielen Zeichen-Werkzeugen, die Clip Studio einem anbietet, kann man sehr praktische Blätter-Pinsel finden, die einem helfen schnell hübsche Topfpflanzen anzulegen.

Zum Schluss zeichne ich mit einem weichen, großen Airbrush ein helles licht auf der Fensterseite ein, das als Ebene im Modus Negativ Multiplizieren über dem ganzen Hintergrund liegt.

 

Charaktere zum Leben bringen

 

 

Zunächst passe ich die Farbe von meiner Skizzenebene an, damit sie leichter und wärmer wirkt. Ich gehe nochmal über die Farbflächen der Charaktere mit Farbton/Sättigung/Luminanz um sie nach Bedarf knalliger zu machen. Dabei achte ich darauf, dass sie sich gut vom Hintergrund abheben. Und dann beginne ich auf einer neuen Ebene Details auszuarbeiten, dabei beginne ich meistens bei den Augen und dem Gesicht meiner Charaktere, da wir diese immer als erstes wahrnehmen und sie vermutlich den wichtigsten Teil einer Charakter-Illustration darstellen.

 

 

Unsere Haut hat keinen gleichmäßigen Farbton! An manchen Stellen sind mehr Blutgefäße direkt unter der Oberfläche und dadurch wirkt die Haut rötlicher, an anderen Stellen ist sie blasser. Sobald man diese verschiedenen Farbtöne einzeichnet, wirken menschliche Figuren gleich viel lebendiger.

 

 

Auf einer neuen Multiplizieren-Ebene male ich etwas tiefere Schatten, die die Figuren 3-dimensionaler wirken lassen.

 

 

Mit einer Hinzufügen-Ebene male ich einen leichten Schein vom Tablet-Bildschirm in Dunkelblau ein. Man sieht diesem vor allem in Tablet-Nähe auf der Hand und dem Kleid.

 

Modische Muster

 

 

 

 

Für mehr Detailreichtum gebe ich einigen Kleidungsstücken meiner Figuren Muster. Diese kann man z.B. per Hand einzeichnen, wie das Karo-Muster vom grünen Kleid.

 

Oder man schaut in die Material-Bibliothek, in der man sehr schöne vorgefertigte Muster finden kann, wie diese zarten Blumen.

 

 

Kleine Hintergrundanpassungen

 

 

Während der Ausarbeitung meiner Charaktere merke ich an manchen Stellen, dass sich der Hintergrund nicht gut vom Charakter trennen lässt. Hier zum Beispiel hat es mir nicht gefallen, dass man die helle Lichtkante auf dem Haar nicht sehen konnte, weil der Hintergrund auch sehr hell war. Zum glück kann man das schnell ändern mit Hilfe von einer neuen Zimmerpflanze.

 

 

Weicher Lichtschein

 

 

Um den Licht-Effekt zu verstärken lege ich eine neue Ebene im Modus Hinzufügen (Schein) unter der Lichtkante an und male mit einem weichen Airbrush einen sanften Glüh-Effekt in Orange ein.

 

 

Der letzte Schliff

 

 

 

 

 

Zum Schluss gebe ich meiner Illustration das gewisse Etwas mit ein paar letzten Details und Effekten.

Unter anderem kombiniere ich alle Hintergrundebenen zu einer und mache sie leicht unscharf durch Filter > Weichzeichnen > Gaußscher Weichzeichner. Dadurch entsteht mehr sichtbare Distanz zwischen den Charakteren und dem Hintergrund.

Auf neuen Ebenen zeichne ich ein paar Lichteffekte und feine Staubkörner, die von der Sonne oder dem Tablet-Bildschirm beleuchtet werden. Bei solchen Effekten muss man aufpassen, dass man nicht zuviel davon macht, aber in kleinen Mengen geben sie Illustrationen einen Hauch Magie.

Finale Farbanpassungen kann man vornehmen, indem man Korrekturebenen benutzt. Diese werden auf alle Ebenen, die darunter liegen, angewandt. Ich benutze oft zum Schluss Farbbalance und Gradationskurven, um die Farben im ganzen Bild, oder in Teilen davon stimmiger zu machen.